Autoportrait von Otto Dix
Ein Bild von einem Mann Die Geschichte geht um die Welt: In einer Münchner
Wohnung hat die Polizei Kunstwerke im Wert von vielen hundert Millionen
entdeckt. Darunter auch unbekannte Gemälde, zum Beispiel von Otto Dix. Jetzt
erzählt seine Enkelin Nana, welche Bedeutung das unbekannte Selbstporträt hat -
und was für ein Mensch ihr Großvater war.
VON KERSTIN
GREINER FOTOS: TANJA KERNWEISS
SZ-Magazin: Frau Dix, wie erging es Ihnen, als
Sie erfuhren, dass zu den mehr als tausend Kunstwerken, die Cornelius Gurlitt
in seiner Wohnung gehortet hat, auch ein bisher unbekanntes Selbstporträt Ihres
Großvaters gehört?
Nana Dix: Ich habe mich einerseits gefreut, dass es
dieses Bild gibt, dass es wieder in der Welt ist. Andererseits hat es mich
erschreckt: Denn wer weiß, welches Schicksal den Besitzer ereilt hat?
Wussten Sie von dem Bild?
Nein. Ich habe auch meinen Vater gefragt, er
hat das Bild ebenfalls noch nie gesehen. Keiner in der Familie kennt es.
Hat Ihnen denn der Name Gurlitt etwas gesagt?
Gar nichts. Auch danach habe ich meinen Vater
gefragt, doch er hat den Namen noch nie gehört. Aber kurz nachdem das Bild
entdeckt wurde, rief mich ein Bekannter an und sagte, er habe Gurlitt vor
zwanzig Jahren auf der Frankfurter Buchmesse gesehen, er wäre ein bisschen
zerzaust dahergekommen, Kaffeefleck auf dem Hemd, ein abgerissener Knopf. Ich
kann das alles nicht bestätigen, ich habe ihn noch nie gesehen. Aber wenn ich
mir vorstelle, wie dessen Leben wohl aussah, immer mit dieser Lüge im
Hinterkopf, immer behaupten zu müssen, die Bilder seien verbrannt – der kann
nicht sehr glücklich gewesen sein.
Wissen Sie, dass Sie nicht mal einen Kilometer
Luftlinie von Cornelius Gurlitt entfernt wohnen?
Ja, jetzt weiß ich es. Ist das nicht verrückt?
Ich gehe fast jeden Tag an diesem Haus vorbei, auf dem Weg zum Englischen
Garten mit dem Hund. Genau gegenüber ist auch noch der Kieferorthopäde meiner
Kinder. Das darf doch nicht wahr sein, habe ich gedacht, und mich natürlich
sofort gefragt: Vielleicht habe ich diesen Gurlitt doch schon mal gesehen?
Wie stark sind Ihre Erinnerungen an Ihren
Großvater Otto Dix?
Sehr stark. Wir haben ja als Kinder bei meinen
Großeltern gelebt. Meine Eltern sind ein Jahr nach meiner Geburt von München zu
ihnen an den Bodensee gezogen und haben sieben Kilometer weiter ein Bauernhaus
gekauft. Aber solange das umgebaut wurde, haben wir alle unter dem Dach meiner
Großeltern gewohnt.
Was sehen Sie, wenn Sie dieses jetzt
aufgetauchte Selbstporträt betrachten?
Es ist seinen Werken Selbstbildnis mit
Nelke von 1912 und Selbstbildnis mit Gladiolen von 1913 sehr
ähnlich. Dann gibt es auch das Selbstbildnis als Raucher von 1913, auf
dem er sich mit Zigarre porträtiert hat. Ich fand es erst seltsam, dass die von
der Staatsanwaltschaft beauftragte Kunstexpertin Meike Hoffmann es auf 1919
datierte, weil er exakt die gleiche Frisur auf dem Bild trägt wie 1912 und
1913, auch der Blick auf dem aufgetauchten Bild ist ähnlich – aber der
Untergrund ist anders, auch seine Art zu malen. Und er trägt diesen Schatten im
Gesicht, was für seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg stehen könnte. Aber ich
fühle etwas ganz anderes bei diesem Bild.
Was denn?
Den Zigarrenrauch. Zigarren hat er immer
geraucht, so kleine, stinkende. Er saß am Kamin mit seinem Rotwein, ich auf
seinem Schoß. Ich wollte als Kind nie etwas essen, aber wenn er mich auf seinen
Schoß nahm, schon. Er fütterte mich mit Leberwurstbroten. Ein Schlückchen
Rotwein gab es auch. Da war er stolz drauf: Niemand konnte mir was
einverleiben, aber er schaffte es. Rotwein, Zigarre, Leberwurstbrote: Für mich
bedeutet dieses Bild ein Stück Familiengeschichte. In meiner Erinnerung raucht
er meistens.
Viele Werke Ihres Großvaters wurden von den
Nationalsozialisten als entartete Kunst diffamiert, etwa 260 sind bis heute
verschollen. Litt Ihr Großvater nach dem Krieg sehr darunter, dass diese Werke
verschwunden waren?
Viel gesprochen wurde über den Krieg nicht.
Aber das, was ihm widerfahren ist, muss ihn ziemlich umgeworfen haben. Er hat
sich zurückgezogen an den Bodensee und angefangen, diese Landschaftsbilder zu
malen, dramatische, mit Sonnenuntergängen oder Eis – es gibt darunter eines, Aufbrechendes
Eis (mit Regenbogen über Steckborn), auf dem ist der Bodensee
zugefroren und im Eis klafft ein riesiger Spalt, wie ein Riss durch die Seele.
Mein Vater hat mir erzählt, dass er und sein Bruder Ursus als Kinder einmal
Lutscher mit Hakenkreuz-Emblem nach Hause gebracht haben. Mein Großvater hat
sie ins Gras geworfen, zertreten – und draufgepinkelt. Wie wütend er gewesen
sein muss! Ich habe mir oft überlegt, wie sich das anfühlt: Du malst zum
Beispiel drei Jahre an einem Werk wie dem Schützengraben, das 1923 in
Köln ausgestellt wird. Es löst so einen Skandal aus, dass es man es dir
zurückgibt. Damals war Adenauer Bürgermeister in Köln, vielleicht hatte mein
Großvater deshalb zeitlebens eine Abneigung gegen ihn. Ausgerechnet in der
ersten Schau über entartete Kunst in Dresden 1933 wird das Bild dann wieder
gezeigt – verhöhnt und gebrandmarkt.
Hat er nach dem Krieg versucht, verschollene Werke wiederzufinden?
Nein. Er hatte natürlich auch nicht von allen
Fotografien gemacht. Viele Bilder hat er getauscht oder verschenkt. Er war eben
großzügig. Einmal hat er sogar eine Zahnoperation mit einem Werk bezahlt. Von
vielen Bildern gibt keine Fotos.
Heute werden seine Bilder für Millionen
gehandelt. War Ihr Großvater zu seinen Lebzeiten jemals vermögend?
Eher nicht, meine Großmutter war wohlhabend.
In den Sechziger-, Siebzigerjahren waren eher die abstrakten Maler in Mode,
mein Großvater nannte sie »Tapetenmaler«. Auch seine Alla-prima-Malerei, diese
expressivere, zu der er dann gefunden hatte, wurde nie richtig gewürdigt. Er
hat Kirchenfenster gemacht und sich religiösen Themen zugewendet. Darstellungen
von Huren oder Zündholzverkäufern wie in seinen frühen Bildern gab es nicht
mehr. Er hat viele Preise bekommen, wie das Bundesverdienstkreuz 1959. Auf das
gab er aber nicht viel, weil es ihn erboste, dass sich kaum einer in der
Nachkriegszeit mit dem Dritten Reich kritisch auseinandersetzte. Besitzen Sie
ein Bild Ihres Großvaters?Ja, eine Lithografie, die meine Schwester und mich
zeigt. Die verkaufe ich niemals. Und seinen Reisekoffer habe ich noch.
Aus : Süddeutsche Zeitung Magazin,
November 2013
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